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Bericht zum „1st Meeting on Chronic Fatigue in Immune-mediated disorders“ an der Charité Berlin

Vom 21.-22.11.2019 fand das erste Meeting zum Thema chronische Fatigue bei immunvermittelten Erkrankungen statt, welches durch das Charité Fatiguezentrum und der Arbeitsgruppe rund um Prof. Carmen Scheibenbogen, aus dem Institut für medizinische Immunologie der Charité Berlin, organisiert wurde. Ziel dieses Meetings war es Ärzte und Wissenschaftler auf einer interdisziplinaren Ebene zusammenzubringen, um Ursachen und gezielte Behandlungsmöglichkeiten von Fatigue bei verschiedenen Erkrankungen zu beleuchten und Kooperationen zu fördern. In zahlreichen wissenschaftlichen Vorträgen wurden Einblicke in dieses spannende Forschungsgebiet gegeben. Neben Beiträgen zu Fatigue in Erkrankungen wie Multipler Sklerose (MS) und Scleroderma/Sjögren Syndrome (pSS), Fatigue in Patienten mit Schlafstörungen, oder Tumor-assoziierter Fatigue (Cancer related Fatigue, CrF), lag auch ein besonderer Fokus auf ME/CFS. Hierzu wurden mögliche Pathomechanismen und Therapieansätzen für Patienten mit dieser Krankheit erläutert und diskutiert.

Am Donnerstag hieß Frau Prof. Carmen Scheibenbogen die rund 120 Teilnehmer_innen des Meetings willkommen und stellte dabei das diesjährig eröffnete Charité Fatiguezentrum vor. Es folgte ein kurzer Einblick in die Aufgaben und Ziele des europaweiten Forschungsnetzwerks zu ME/CFS „EUROMENE“ durch Prof. Modra Murovska (August Kirchenstein Institut für Mikrobiologie und Virologie, Riga, Lettland). Prof. Yedhuda Shoenfeld (Sheba Medical Center, Tel Aviv, Israel) hielt die Eröffnungsrede des Meetings. Er ist ein israelischer Arzt und Immunologe, der nennenswerte Erfolge auf dem Gebiet von Autoimmunerkrankungen erzielt hat. Er ist Mitherausgeber verschiedener Fachzeitschriften und hat im Laufe seiner Karriere rund 1900 wissenschaftliche Publikationen, sowie mehrere Standardliteraturwerke zum Thema Autoimmunität verfasst. So ist es sehr erfreulich, dass so ein herausragender Wissenschaftler nun auf die Erkrankung ME/CFS aufmerksam geworden ist. In seinem Vortrag ging er auf die steigende Zahl von Autoimmunerkrankungen, deren Ursachen und neuen Krankheitskonzepten von Autoimmunität ein. Dabei verwies er unter anderem auf die Rolle von funktionellen Autoantikörpern in Autoimmunerkrankungen, wie Antikörper gegen β-adrenerge Rezeptoren. Diese sind beispielsweise an der Pathogenese von Tachykardie, Posturalem Tachykardiesyndrom (POTS), aber auch ME/CFS beteiligt. Aktuelle Studien, die sich mit dem Krankheitsmechanismus hinter ME/CFS beschäftigen, geben vermehrt Hinweise darauf, dass in einer Subgruppe von Patienten eine autoimmune Erkrankung zugrunde liegen könnte.

Die erste Sitzung des Meetings befasste sich mit der klinischen Präsentation und Epidemiologie chronischer Fatigue bei immunvermittelten Erkrankungen. Prof. Luis Nacul (London School of Hygiene & Tropical Medicine, London, UK) erläuterte dem Publikum grundlegende Fakten zur Definition, Diagnose, Prävalenz und Pathophysiologie von CFS/ME. Die folgenden Vorträge gaben einen Überblick über Fatigue in MS (Iris Penner, Neurologie Düsseldorf), CrF (Jens Ulrich Rüffer, TAKEPART, Köln), pSS (Gabriela Riemekasten, Rheumatologie Lübeck) und Mast-Zell-vermittelten Erkrankungen (Markus Maurer, Dermatologie, Charié Berlin).

 

In der zweiten Sitzung des Tages wurden Einblicke bezüglich der Diagnostik von Fatigue gegeben. Juniorprof. Carsten Finke (Neurologie, Charité Berlin) erläuterte z.B., dass bei MS Patienten mit Fatigue Veränderungen in der Aktivität der Hirnfunktion in verschiedenen Arealen mittels Kernspintomografie zu beobachten sind. Weiterhin hielt Dr. Nadja Scherbakov (Centrum für Schlaganfallforschung, Charité Berlin) einen Vortrag über Endotheliale Dysfunktion, welche unter anderem auch in ME/CFS auftritt. Endotheliale Dysfunktion ist eine Funktionsstörung des Endothels und betrifft z.B. die Gefäßweitenregulation. Ausgelöst wird diese Funktionsstörung durch unterschiedliche Mechanismen, u.a. einem Mangel an gelöstem Stickstoffmonoxid. Dr. Scherbakov stellte dabei erste Daten zu einer eingeschränkten Endothelfunktion in einer Subgruppe von CFS/ME Patienten vor, wobei die verminderte Endothelfunktion sowohl mit der Schwere der Erkrankung als auch den Immunsymptomen korrelierte. In zwei weiteren Vorträgen referierten Dr. Thomas Thouet (Sportmedizin, Charité Berlin) über die Möglichkeit der Beurteilung der Trainingskapazität durch Herz-Lungen-Übungstests (Cardiopulmonary exercise testing, CPET) und Dr. Christian Veauthier (Schlafmedizinisches Zentrum, Charité Berlin) über Schlafstörungen bei Patienten mit Fatigue.

 

Die anschließende Abendveranstaltung bot einen guten Rahmen für Wissenschaftler und Ärzte sich über ihre Erfahrungen untereinander auszutauschen.

Der Freitagmorgen begann mit der dritten Sitzung, in der die verschiedenen

Pathomechanismen von Fatigue dargelegt wurden. Den ersten Vortrag hielt Dr. Pawel Zalewski (Nicolaus Copernicus Universität, Toruń Polen). Er sprach über die

Dysfunktion des autonomen Nervensystems, welche bedeutend in der Diagnosestellung für ME/CFS ist. Der anschließende Vortrag von Prof. Klaus Wirth

(Sanofi-Aventis) handelte über vaskuläre Dysfunktion bei Patienten mit CFS/ME. Unter anderem diskutierte er Autoantikörper gegen ß2-Adrenozeptoren, sowie Polymorphismen und Desensibilisierungen des ß2-AdR als wichtige mögliche

Risikofaktoren in der Pathogenese von ME/CFS. Des Weiteren sprachen Dr. Bhupesh Prusty (Universitätsklinikum Würzburg) über die Rolle von Mitochondrien bei ME/CFS und Dr. Sofia Forslund (Max-Delbrück-Center, Berlin) über das Darmmikrobiom, welches bei ME/CFS-Patienten in Studienergebnissen eine reduzierte Diversität im Vergleich zu gesunden Kontrollen zeigte. Die Neurologin Rosa Rößling referierte über CNS Rezeptor Autoantikörper sowie autoimmun bedingte Enzephalitis und Prof. Joachim Spranger (Endokrinologie, Charité Berlin) über Fatigue bei endokrinologischen Erkrankungen. Über die muskuläre Fatigue bei Patienten mit Herzerkrankungen berichtete Prof. Wolfram Döhner (Centrum für Schlaganfall-forschung, Charité Berlin).

 

Nach der ersten Sitzung und dem gemeinsamen Mittagessen konnten bei den Postern Fragen an die Aussteller/ Forscher gestellt werden, so entstanden interessante Diskussionen.

 

Bei der vierten und letzten Sitzung standen die Therapieoptionen der Fatigue im Fokus. Sie begann mit einem Vortrag des norwegischen Onkologen Dr. Oystein Fluge (Haukeland Universitätsklinikum, Onkologie, Bergen, Norwegen) der über immunmodulatorische Therapieansätze mit Rituximab und Endoxan bei ME/CFS informierte. Prof. Friedmann Paul (Neurologie, Charité Berlin) berichtete von Behandlungsmöglichleiten der Fatigue bei MS und Prof. Bernd Wolfarth (Sportmedizin, Charité Berlin) über Training und Sport als Therapie bei tumorassoziierter Fatigue. Den letzten Vortrag hielt Prof. Matthias Rose (Psychosomatik, Charité Berlin) über die kognitive Verhaltenstherapie bei Patienten mit ME/CFS.

Ein weiterer Teil der Veranstaltung beinhaltete eine Poster Session, in der ausgewählten Teilnehmer_innen ermöglicht wurde, aktuelle Daten ihrer Forschung zu präsentieren und diskutieren. Im Rahmen dieser Posterpräsentation wurden die drei besten Poster durch einen Posterpreis (Sponsor: CellTrend GmbH) ausgezeichnet.

 

Den ersten Platz belegte das Poster der Medizinstudentin Bianka Jäkel (Charité

Universitätsmedizin Berlin & Lost Voices Stipendiatin), welches die Ergebnisse einer klinischen Studie zur Handgriffkraftmessung als Biomarker bei Fatigue vorstellte. Es konnte gezeigt werden, dass ME/CFS Patienten eine deutlich geringere Handgriffkraft haben als die gesunden Kontrollen. Sie zeigen auch eine höhere Erschöpfung, im Sinne eines stärkeren Kraftabfalls bei aufeinanderfolgenden Messungen und eine verminderte Erholungsrate nach einer einstündigen Pause. Somit ist die Handgriffkraftmessung als einfache Methode zur Beurteilung der muskulären Fatigue bei ME/CFS in Betracht zu ziehen.

 

Zum zweiten Platz wurde das Poster von Evelina Shikova (Nationales Zentrum für Infektions- und parasitäre Krankheiten, Sofia, Bulgarien) gekürt. Sie zeigte Ergebnisse der Untersuchung von Blutproben von ME/CFS Patienten auf virale Infektionen wie EBV (Ebbstein-Barr-Virus), CMV (Cytomegalie-Virus) und HHV-6 (Humanes Herpes Virus 6). Es wurde ein signifikanter Unterschied in der Häufigkeit der EBV-aktiven

Infektion bei ME/CFS Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen gezeigt, was auf eine mögliche Rolle von EBV bei der ME/CFS-Pathogenese hindeutet.

Der dritte Platz ging an Sławomir Kujawski (Nicolaus Copernicus Universität, Toruń Polen) und seinem Poster zu einer Studie über die Auswirkung von „Graded Excercise Therapy“ (GET) auf die kognitive Funktion bei ME/CFS Patienten. Die Studie zeigte, dass es bei manchen Patienten zu einer verbesserten Reaktion auf visuelle Reize und deren Verarbeitung kommt. Jedoch kam es bei vielen Patienten auch zu einer Verschlechterung der Symptome mit post-excertional malaise (PEM). Weitere Studien sind daher notwendig, um zu klären, für welche Patienten GET möglich ist, bzw. wie man GET anpassen kann, um PEM zu vermeiden.

 

Außerdem zeigte Sophie Steiner, ehemalige Lost Voices Stipendiatin, ein Poster mit ihren Daten zu einer genetischen Studie über Einzelnukleotidpolymorphismen (Single Nucleotid Polymorphisms, SNPs) in ME/CFS. Die untersuchten SNPs sind bereits mit verschiedenen Autoimmunerkrankungen wie Rheumatischer Arthritis oder MS assoziiert. In ME/CFS Patienten bei denen die Erkrankung mit einem Infekt begann, wurde eine erhöhte Häufigkeit dieser genetischen Risikovarianten in den Genen PTPN22 und CTLA4 (Protein tyrosine phosphatase, non-receptor type 22; cytotoxic T-lymphocyte-associated protein 4) im Vergleich zu gesunden Kontrollen gezeigt. Dies unterstützt die Hypothese einer genetischen Prädisposition, sowie eines autoimmunen Pathomechanismus in der Subgruppe von Patienten mit Infektions-getriggertem Krankheitsbeginn.

 

Die weiteren Poster werden im Folgenden genannt:

 

  • Paulina Meidel (Technische Universität München & Lost Voices Stipendiatin) über erste Ergebnisse ihrer observativen Pilotstudie über postinfektiöses ME/CFS bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Stipendiatin 2019 LVS)
  • Svetlana Orlova (August Kirchenstein Institut für Mikrobiologie und Virologie, Riga, Lettland) zum Thema Nachweis von Herpesviren bei Patienten mit ME/CFS in Weißrussland
  • Fernando Estévez Lopez (Erasmus MC Universität, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Niederlande) über Untergruppen in Fibromyalgie nach Belastungsgrad, Belastbarkeit, Katastrophierung, Gedächtnis, Müdigkeit, körperlicher Aktivität und körperlicher Fitness
  • Varvara Ryabkova (Universität St. Petersburg) über den Zusammenhang von Autoimmun-Dysautonomie und Kleinfaser-Neuropathie mit chronischer Fatigue
  • Joanna Slomko (Nicolaus Copernicus Universität, Toruń Polen & Newcastle Universität, Großbritannien) zum Thema Ganzkörper-Kryotherapie und deren positive Effekte auf Fatigue und die Funktion des Autonomen Nervensystems bei ME/CFS

 

Zusammenfassend war die Veranstaltung ein voller Erfolg und das Team der Charité blickt einem zweiten Meeting im nächsten Jahr freudig entgegen. Ein besonderer Dank gilt allen Personen, die an der Organisation mitwirkten, sowie der Weidenhammer-Zöbele Stiftung, durch deren Unterstützung dieses Meeting überhaupt ermöglicht wurde.

M.Sc. Sophie Steiner  
AG Prof. Carmen Scheibenbogen
Flyer_CFC_11_19.pdf
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