Geschichtliche Betrachtung ME vesus CFS

Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome: Review of History, Clinical Features, and Controversies
Nigel Speight SaudiJMedMedSci1111-407707
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Der Begriff Myalgic Enzephalomyelitis ( ME) wurde erstmals im Lancet geprägt im Rahmen einer Epidemie mit Virusenzephalitis , die Mitte der 1950er Jahre im Norden von London auftrat. Viele der Betroffenen erkrankten an einer chronisch behindernden Krankheit. Die Epidemie, von der besonders das medizinische - und Pflegepersonal am Royal Free Hospital betroffen war, hatte ein so großes Ausmaß, dass die Krankheit manchmal auch als " Royal Free Disease" bezeichnet wurde. Die klinischen Merkmale von über 200 Fälle waren gut in den klassischen Arbeiten von Dr. Melvin Ramsay dokumentiert, einem Arzt aus diesem Krankenhaus. Es wurde festgestellt, dass das klinische Bild sehr vielen sporadische Fälle ähnelte. Viele der letzteren entdeckte man, nach vorhergehenden Virusinfektionen und bezeichnete diese zuvor als " Post Viral Fatigue Syndrome ". Ähnliche Epidemien wurden in Los Angeles ( 1934) und Island ( 1947) und anschließend in Neuseeland und Lake Tahoe , Nevada anerkannt. Nach Ramsays Arbeit wurde die chronische Krankheit, die er als ME beschrieben hatte über einem Jahrzehnt als organische Krankheit akzeptiert. Im Jahr 1960 nahm die WHO sie als anerkanntes Krankheitsbild im Abschnitt Neurologie auf. (Ausschnitt aus Speight N. Myalgic encephalomyelitis/ chronic fatigue syndrome: Review of history, clinical features, and controversies. Saudi J Med Med Sci 2013;1:11-3.)

 

Geschichte der Definitionen und die Links zu den entsprechenden Publikationen

von Mary Schweitzer (Übersetzung: Regina Clos | www.fs-aktuell.de)

Was wir heute unter M.E. kennen (und vieles von dem, was als CFS diagnostiziert wurde), wurde zum ersten mal 1934 während eines großen Ausbruchs von Polio registriert. An einer anderen Krankheit, die als atypische Polio bezeichnet wurde, litten eine große Zahl der Mitarbeiter des Los Angeles County General Hospital. 1938 hat Dr. Gilliam (ein hochangesehener Epidemiologe, der aufgrund des Ausbruchs in Los Angeles war, aber später dann dem Fachbereich angehörte) über den US Public Health Service ein 100 Seiten starkes Büchlein veröffentlicht, in dem er so detailliert wie er konnte die Symptome der Patienten beschrieb, Fallstudien von 25 Patienten und sogar eine Karte aufnahm, auf der zu sehen war, wie sie alle vom Parkgelände zu ihren Arbeitsstellen liefen. Er hoffte, genügend Einzelheiten angegeben zu haben, so dass zukünftige Forscher die Krankheit erkennen würden! Ich habe eine Kopie dieses Büchleins zuhause.

Danach wurde weltweit etwa ein Ausbruch pro Jahr beschrieben, von denen der bekannteste der in Island ist, wo die Krankheit den Namen Iceland oder Akureyri-Disease bekam. Als Polio durch den Impfstoff „besiegt“ worden war, hat man in Großbritannien die atypische Polio in Myalgische Enzephalomyelitis umbenannt, ein Name, der im gesamten Commenwealth und auch sonst auf internationaler Ebene benutzt wurde. In den USA wurde die Krankheit jedoch als „epidemische Neuromyasthenie“ bezeichnet. Als Name und als Diagnose hat der Begriff M.E. seit beinahe 60 Jahren bestanden, aber der anschauliche Name Neuromyasthenie wurde in den frühen 1970er Jahren in den USA immer weniger benutzt.

M.E. wurde von der World Health Organisation (WHO) im Jahr 1969 als neurologische Erkrankung anerkannt und blieb seitdem bis heute in dieser Klassifikation der WHO.

 

Hier ist eine Beschreibung der Ausbrüche: http://www.meresearch.org.uk/information/keypubs/Acheson_AmJMed.pdf

 

Im Jahr 1970 und 1971 jedoch haben zwei britische Psychiater, McEvedy und Beard, im British Journal of Medicine Artikel veröffentlicht, in denen sie darauf bestanden, dass die zwei bekanntesten Ausbrüche von M.E. tatsächlich Ausbrüche von „Massenhysterie“ gewesen seien, weil viele der Patienten junge Frauen oder Mädchen in einem Studentenwohnheim waren (kein Kommentar…) [Anm.d.Ü.: diese Psychiater haben niemals auch nur einen der damals erkrankten Patienten untersucht oder befragt.]

 

Melvin Ramsay hat 1986 ein Lehrbuch über M.E. veröffentlicht, das er 1988 überarbeitete. Hier ein Link zu seiner Definition der M.E.- Ramsay 1986: http://www.cfids-me.org/ramsay86.html

 

Mittlerweile hatte es in den USA und in Kanada eine große Zahl von Cluster-Ausbrüchen einer Krankheit gegeben, die als „chronische Epstein-Barr-Infektion“ oder CEBV, als Yuppie-Grippe, als Non-HIV AIDS und mit weiteren Namen bezeichnet wurde. Der selbsternannte „Experte“ für EBV an den National Institutes of Health, der verstorbene Stephen Straus, hat zuerst eine Pressekonferenz abgehalten, in der er behauptete, das EBV die Antwort liefere; dann, als das entkräftet wurde, schlussfolgerte er, dass es psychosomatisch sei (äußerst merkwürdig – ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben soll). Wenn das der Fall wäre, dann wäre die Krankheit in die Zuständigkeit des National Institute for Mental Health (NIMH) bei den NIH gefallen, aber stattdessen blieb sie weiterhin unter der Kontrolle von Stephen Straus am NIAID (National Institute for Allergies and Infectious Diseases). Straus prägte 1986 den neuen Namen „Chronic Fatigue Syndrome“ explizit, um damit den Namen „Chronisches EBV“ zu ersetzen. Dann wurde unter dem Vorsitz von Gary Holmes von den CDC eine Konferenz abgehalten, bei der Straus eine herausragende Rolle spielte.

 

Die Forscher dort wussten, dass sie keine Finanzmittel bekommen würden, wenn sie sich gegen Holmes und Straus stellten. Alex Shelekov aus den USA, ein Experte für Epidemische Neuromyasthenie, und drei internationale M.E.-Experten erklärten, dass die Ausbrüche mit Sicherheit Fälle von M.E. seien, aber Holmes und Straus ignorierten sie. Das Ergebnis war die im Jahr 1988 getroffene Entscheidung, den neuen (nichtssagenden) Namen „Chronic Fatigue Syndrome“ oder CFS zu übernehmen. [Anm.d.Ü.: Die Geschichte des Cluster-Ausbruchs am Lake-Tahoe in dem kleinen Ort Incline Village ab dem Jahr 1984, aufgrund dessen die dort in einer Praxis tätigen Ärzte Daniel Peterson und Paul Cheney die CDC alarmierten, die dann schließlich erst Jahre später den unerfahrenen 28-jährigen Epidemiologen Holmes und andere schickten, ist ausführlich in „Osler’s Web: Inside the Labyrinth of the Chronic Fatigue Syndrome Epidemic“ von Hilary Johnson beschrieben. Die von den CDC geschickten „Experten“ schauten sich die von den beiden Ärzten mittlerweile gesammelten Daten kaum an, untersuchten keine Patienten und kamen zu dem Schluss, dass sie alle „chronisch erschöpft“ seien – und prägten darauf hin den Namen „Chronic Fatigue Syndrome“.]

 

Die erste CFS-Definition wird als Holmes-Kriterien von 1988 bezeichnet, und man findet diese Definition sowie den begleitenden Artikel hier: http://www.cfids-me.org/holmes1988.html

 

Man beachte, dass dies sehr viel weniger als in die 100 Seiten von Gilliams Büchlein sind. Man beachte auch, dass der Artikel darauf bestand, dass nur Chronisches EBV durch CFS ersetzt werden sollte – M.E. wurde nicht erwähnt, nicht einmal in einer Fußnote. Es bedurfte eines Begleitartikels von Straus, der auch 1988 veröffentlicht wurde, in dem er CFS mit M.E. und Hysterie in Verbindung brachte. Straus bezog sich auf beide Artikel von McEvedy und Beard und auf ein Lehrbuch aus dem Jahr 1869 (Achtzehnhundertneunundsechzig, d.Ü.) von einem Arzt namens Beard mit dem Titel „American Nervousness“, das als Quelle des Konzepts von der „Neurasthenie“ benutzt wurde wenn dieses seit dieser Zeit auf „CFS“ und „M.E.“ bezogen wurde. [Anm.d.Ü.: In diesem Buch behauptet Beard u.a., wenn man Mädchen Naturwissenschaften lehren würde, dann würde ihr Uterus schrumpfen, und das sei doch eine Gefahr für die amerikanische Rasse…] Man stelle sich vor, dass ein Lehrbuch von 1869 für irgendetwas anderes benutzt würde. Niemand hat dem widersprochen, und britische Psychiater hatten einen großen Tag, als sie M.E. und CFS in Lehrbüchern mit Neurasthenie in Verbindung brachten. (Weder Neurasthenie noch ihre Zwillingsschwester, die Hysterie, sind im DSM-IV, weil die amerikanischen Psychiater beide Diagnosen als Gender-Bias [geschlechtsbezogenen Verzerrungseffekt, d.Ü.] betrachteten, aber das könnte sich ändern….)

Dann versammelten sich britische Psychiater (Simon Wessely, Michael Sharpe, Peter D. White, Trudy Chalder und ein paar andere) in Oxford, um eine neue Definition zu schaffen:

 

Oxford 1992:

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1293107/pdf/jrsocmed00127-0072.pdf

 

Die Oxford-Definition erlaubt keine körperliche Erklärung für die sechs Monate Erschöpfung und schließt majore affektive Störungen wie eine primäre melancholische Depression nicht aus. Das ist das Gegenteil der US-Definition des CFS, aber mit einer Menge Artikel, in denen diese Oxford-Kriterien benutzt wurden, die beispielsweise im Journal of Psychosomatic Medicine veröffentlicht wurden, hat sie eine Menge politischen Einfluss bekommen. Straus ist nach England gereist, um der Oxford-Definition seine Unterstützung zu geben, und die CDC haben Forschungsergebnisse verwendet, die auf der Basis der Oxford-Definition entstanden sind.

 

In diesem Zusammenhang haben die CDC ein neues Gremium einberufen, um die Krankheit zu definieren. Das Ergebnis davon, die Fukuda-Definition, hat ihre Kritiker, aber sie ist besser als die Oxford-Definition und ist in den meisten Studien/Artikeln verwendet worden, die eine biomedizinische – keine psychiatrische – Verursachung belegen.

 

Fukuda 1994:

http://www.cfids-me.org/cdcdefine.html

 

Vollständiger Artikel http://www.ncf-net.org/patents/pdf/Fukuda_Definition.pdf

 

Als die WHO ihre 10. Revision ihrer International Classification of Diseases (die ICD-10) erarbeiteten, wurde CFS mit M.E. unter dem Code G.93.3 im Abschnitt Neurologie in Verbindung gebracht. [Anm.d.Ü.: Auch in Deutschland ist das der Fall.] Aber die USA, die noch immer auf dem Stand der ICD-9 sind, kodiert die Krankheit immer noch unter „unklaren Zeichen und Symptomen“, als einziges Land unter über 100 Nationen.

 

2003 hat Kanada M.E. und CFS in seiner angepassten Version, den ICD-10-CM zusammen gefasst, und ein internationales Expertengremium, das über das National ME/FM Network of Canada einberufen wurde, hat eine neue Definition geschaffen. Eine Zusammenfassung dieser Definition (und eine Definition für FMS) findet sich hier: http://www.mefmaction.com

 

[Deutsche Version der Kanadischen Konsensdefinition hier: http://www.cfs-aktuell.de/Konsensdokument.pdf ]

 

Es hat seitens der CDC Bemühungen gegeben, die Oxford-Definition heimlich in die USA einzuführen, und zwar wahlweise als „revidierte Fukuda- oder Reeves (2003) oder internationale“ Definition – bitte ignorieren. Die ist wirklich schrecklich. Wenn Sie wirklich neugierig sind, dann lesen Sie meinen Blog zu diesem Thema: http://slightlyalive.blogspot.com/2010/02/cdc-research-on-cfs-open-deception.html

 

Auch Leonard Jason hat eine Menge großartiger Artikel geschrieben, in denen er dies Definitionen verglich:

 

Und schließlich haben Bruce Carruthers et al. im Jahr 2011 eine neue Definition für M.E. veröffentlicht:

 

"New international definition of M.E.," Carruthers et al, Journal of Internal Medicine, 2011:

http://onlinelibrary.wiley.com/

 

Es sollte jedem klar sein, dass Patienten, die mit der Oxford-Definition diagnostiziert wurden, nicht zu den Patienten passen, die mit der Ramsay-, der Fukuda- oder der Kanadischen Konsens-Definition diagnostiziert wurden. Irgendwie scheinen manche Herausgeber von Fachzeitschriften und die CDC gegenüber diesem offensichtlichen Problem blind zu sein.

Der Fukuda-Artikel aus dem Jahr 1994 hat den CDC dringend angeraten, über die Verwendung von Biomarkern Untergruppen zu identifizieren. Das ist jetzt 18 Jahre her. Wir warten immer noch.

 

Mary Schweitzer